Wildwasser mal theoretisch
Sascha promoviert demnächst auf dem komplexen Gebiet des Kajak-Erwerbs. Deswegen hat er sich mächtig ins Zeug gelegt und entschlossen seine knapp 100 seitige wissenschaftliche Niederschrift zum Themenkomplex Volumen, Länge, Gewicht, Beschleunigung und Geschwindigkeit über mKFa der breiten Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen.
Zusätzlich gibt es eine Übersicht über 45 Bootstypen mit allen erfassbaren Daten und automatischer Berechnung des Volumen/Kg Verhältnisses für euer Körper- & Materialgewicht.
Schaut unbedingt mal in die Creeker Vergleichstabelle (.ods Format für MS Office, Open Office usw.) rein!
Aber genug des Vorgeplänkels, lassen wir den Meister der WW-Theorie selbst zu Wort kommen:
Hier ein paar Gedanken bzw. theoretischer Ansatz zum Thema „richtiges Boot“
„Volumen zu Gewicht“:
Wenn man etwas mit dem Gesamt-/Systemgewicht und dem Bootsvolumen spielt wird man feststellen, dass Wildwasserkajaks relativ sensible auf Gewicht reagieren. Zwei Kilo mehr oder weniger werden hier schon spürbar.
Das kann man ganz gut mit den eigene Werten und schon mal gefahrenen Booten überprüfen/kalibrieren:
Man nehme das angegebene Bootsvolumen und dividiere durch die Summe des (ehrlichen) Nettogewichts des Fahrers/Fahrerin, plus Ausrüstung (Neo/Trockenanzug etc., Schuhe, Helm, Schwimmweste, Spritzdecke, Wurfsack nicht vergessen, (Paddel lassen wir einfach mal mit dem mehr oder weniger haltbaren Argument „aktive Masse“ weg) da sind schnell 6 bis 8 kg beieinander, plus das (am besten nachgewogene) Gewicht des Bootes.
Man erhält so einen Wert „Liter Volumen pro Kilogramm“
Empirische Ermittlungen haben gezeigt, dass man im „normalen bis schweren (V)“ WW in den Alpen (also z.B. nicht unbedingt den etwas wuchtigeren Stikine als Referenz nehmend) “ als Daumenwert „Zweieinhalb Liter pro Kilogramm“ schon haben sollte.
Oder etwas genauer: ein Wert zwischen 2,5 und 2,9 Liter/Kilogramm könnte man als Normalbereich bezeichnen.
Darunter ist es (meiner Einschätzung nach) eher wenig Volumen, darüber wird es eher etwas voluminös.
Wohlgemerkt bezieht sich das immer auf das individuelle Gesamtgewicht. Muss also immer pro Fahrer plus Ausrüstung ermittelt werden und ist nicht fest mit dem Bootstyp verbunden.
Wie gesagt reagiert dieser Quotient (und damit das Fahrverhalten des Bootes) recht sensibel auf Gewichtsveränderungen.
Ich kenne Paddler, die verzichten darauf etwas zu Trinken im Boot mitzuführen, geschweige denn eine ordentliche Brotzeit und überlegen ob es der kleine Wurfsack heute nicht auch tut.
Andererseits kenne ich aber auch Mitpaddler die eine Säge nebst Halterung in ihrem Gefährt montiert haben. Was natürlich zur Sicherheit und dem Wohle der gesamten Paddlerschaft dient und auch entsprechend honoriert werden sollte, wenn dann ein quer liegender Baum/Ast mal eben entfernt werden kann.
Es ist zu bedenken ob man eher die klassischen Tages-/Kurztouren unternimmt (7 mal die Loisach) wobei auch hier durchaus sinnvolle Rettungs- und Bergeausrüstung wie Umlenkrollen, Karabiner, Bandschlingen, 1. Hilfematerial, Tape etc. gewichtsmäßig zu betrachten sind.
Oder ob man eher in Richtung Mehrtagestouren mit voller Ausrüstung, Schlafsack&Co und eventuell Kamera Ausrüstung geht.
Im zweiten Fall sollte man auf jeden Fall mehr Volumen im Kofferraum haben um noch einen ausreichenden Volumen/Gewichts Koeffizienten zu erzielen.
Es gibt ja immer wieder die Diskussion über die Haltbarkeit der Bootshülle und dem eingesetzten Material.
Wenn ich zwischen dem gleichen Boot in zwei Ausführungen entscheiden könnte, einmal sehr robust/unzerstörbar und schwer gegen eine leichtere aber dünnere mit weniger Material würde ich mich für letzteres aussprechen (ausgenommen extreme Expeditionen in Sibirien oder ähnlichen Gegenden).
Es überwiegt in aller Regel der Fahrspaß. Hüllenbrüche sind doch eher die Ausnahme und auch hier werden die Hersteller immer besser.
Ein zweiter, nicht ganz so sensibler Wert ist „Volumen zu Länge“:
Also, analog zu oben dividiert man das angegebene Bootsvolumen durch die Länge des Lieblingsfahrzeugs. Man erhält so einen Wert „Liter Volumen pro Zentimeter“.
Hier liegt der Normalwert nach meiner Meinung bei 1,15 Liter pro Zentimeter.
Darunter geht es eher in Richtung „Torpedo“.
Darüber geht es mehr in Richtung „Blubb“
Endgeschwindigkeit
So und jetzt noch etwas völlig abgehobenes.
(Ja, es gibt durchaus Leute, die sagen „wärst du mal lieber aufs Wasser gegangen als so einen Quark zu verzapfen“:)
Die Endgeschwindigkeit ist abhängig von der Länge der Wasserlinie (nicht Gesamtlänge), d.h. Boote mit viel rocker sind hier etwas im Nachteil.
Das Ganze berechnet sich wie folgt:
4,5 multipliziert mit der Quadratwurzel aus der Länge der Wasserlinie ergibt die theoretische Maximalgeschwindigkeit in km/h.
Beispiel: ein Boot mit 2,35 m Länge, hat eine Wasserlinie von z.B. 2,00 m.
Das ergibt Vmax von 6,36 km/h (wenn man ins Gleiten kommt gilt das nicht mehr! Der Übergang zum Gleiten hat u.a. etwas mit der Bootsform zu tun. Aber das führt hier zu weit.)
Zum Vergleich ein Boot mit z.B. 2,30 m Wasserlinie kommt auf Vmax von 6,82 km/h.
Das sind immerhin, wenn man eine Stunde nebeneinander her paddelt fast 500 Meter mehr zurückgelegte Strecke, (theoretisch, wenn man volle Pulle paddelt. Gilt aber für geringere Geschwindigkeiten proportional)
Das ist wenn man in einer Gruppe mit verschieden langen Booten unterwegs ist durchaus spürbar, d.h. der Kleinere muss sich mehr ran halten dran zu bleiben.
Es gilt der alte Spruch „Länge läuft“.
Ich persönlich finde aber, dass die Beschleunigungsfähigkeit eigentlich wichtiger ist als die Endgeschwindigkeit.
Und ja, Gott sei Dank, beim Beschleunigen kommt es (neben einer sauberen Schlagtechnik, ha !) auch auf einen dicken Arm und vollen Akku an. Gerade am Ende des Paddeltages zahlt es sich aus, wenn man an der letzten Kernstelle/Boof noch mal richtig am Löffel ziehen kann.
Das hat natürlich sehr viel mit der zu beschleunigenden Masse zu tun, womit wir dann wieder beim Gesamtgewicht – siehe oben – wären! :)
Ich finde diese Parameter geben einem einen ganz guten Eindruck vom „Charakter“ eines Bootes.
Das ganze ist natürlich etwas theoretisch und auch etwas von der Bootsform abhängig. Die einen fahren lieber Boote mit mehr Kante andere bevorzugen eher ein rundes Unterwasserschiff.
Dito River Runner oder ausgeprägter Creeker.
Letztendlich entscheidet der persönliche Geschmack!
So und jetzt aber Schluss, ab aufs Wasser und rein in die Praxis!
Grüße
Sascha
Tags: Creeker
Kategorie: Material
9. November 2012: Philipp |
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10. November 2012 at 08:00
Sau stark und gute übersicht!
11. November 2012 at 11:06
Ist ja wirklich ne tolle Abhandlung :)
Ich habe festgestellt es ist besser das Volumen pro Meter und nicht pro Zentimeter anzugeben. Ist dann besser greifbar.
Unterschied von z.B 110 l/m auf 120 l/m ist wie ein 10 Liter Putzeimer. Macht dann bei einem Boot mit z.B. 2,50 Meter Länge
zweieinhalb Eimer Unterschied aus.
Kann man sich schon vorstellen, dass es anders ist ob ich nur mit der Badehose vom Beckenrand springe oder noch mit 2,5 Eimern als Auftriebskörper :)
Grüße
Sascha
13. November 2012 at 21:53
Super, gefällt mir echt gut!
Interessant wär auch die Frage ob sich Farben auf das Gewicht des Bootes auswirken (wegen der Pigmente im Material) :)
Auch wirkt sich sicher die Gewichtsverteilung im Boot selbst auf die Fahreigenschaften des Bootes aus. Hand in Hand geht damit die richtige Einstellung des Sitzes.
lg
15. November 2012 at 15:44
Mist, wie konnte ich nur die Pigmentierung vergessen!!
Was aber inzwischen wissenschaftlich erwiesen ist, ist die Tatsache, dass rote Boote besser bowstallen als grüne!
25. September 2015 at 00:06
Ich habe diese Seite aufgesucht, weil ich mal wissen wollte, ob ich (68 Kg Körper-gewicht)mit dem Burn III S (224 liter,17 Kg, 243cm lt Hersteller) meiner Frau auf etwas heftigerem Wasser besser aufgehoben bin als mit meinem Z.One S (180 liter, 16Kg, 249cm). Angegeben ist der kleine neue Burn mit max. 65 Kg, ich käme mit 68 Kg auf einen Quotienten von ca 2,43 liter/Kg (6 Kg Ausrüstung), also nahe am Minimalwert. Spiele ich das Ganze mit dem Z.One durch, ergibt sich ein Wert von knapp 2 l/Kg. Ich frage mich, wie der Hersteller auf ein max Paddlergewicht von 80 Kg kommt? Bei dem Z.One habe ich noch nicht das Gefühl gehabt,in einem U-Boot zu sitzen (WW III – IV)